Der Waldorfpädagogik liegt ein Menschenbild zugrunde, das durch die anthroposophische Menschenkunde Rudolf Steiners im Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde und in den Waldorfkindergärten und -schulen zum Ausdruck kommt.
Eine zentrale Aufgabe im Waldorfkindergarten ist es, die Bedingungen für ein kindgerechtes Spiel zu schaffen, die den Kindern in allen Stufen ihrer Entwicklung ermöglicht, sich „frei spielend“ und selbständig in die Welt zu stellen.
Vorbild und Nachahmung oder ‚Wie lernt das kleine Kind?’
Betrachten wir das kleine Kind bis zum Schulalter hin, dann können wir erleben, wie gerade in diesem Alter die Erfahrungen und Lernprozesse im höchsten Maße vom Kinde selbst ausgehen.
Auf der einen Seite ist es ganz an die Umgebung hingegeben und auf der anderen Seite hat es einen ausgeprägten Tatendrang.
Die gesunde Entwicklung des Kindes hängt entscheidend von den Bedingungen ab, die es in seiner Umgebung vorfindet. Es ist hier nicht nur die gegenständlich-materielle Umgebung des Kindes gemeint, sondern vielmehr der ganze Lebensraum, in dem sich das kleine Kind bewegt.
Dazu gehört nicht nur die seelische Gestimmtheit der Erzieher*innen, auch die rhythmische Gliederung des Tages, einer Woche, des Jahres. Kinder im Vorschulalter lieben die Wiederholung vertrauter Ereignisse, wie z.B. das Feiern der Jahresfeste, und freuen sich, wenn sie Bekanntes wiedererkennen. Die Ordnung der Räume spielt eine große Rolle. Jedes Ding hat seinen Platz und wird an seinem Orte wieder vorgefunden.
Die Kinder wollen erfahren, dass die Dinge und Vorgänge des Lebens in einem Zusammenhang stehen und dadurch einen Sinn und Zweck enthalten.
In unserer technisierten Umwelt wird es zunehmend schwerer, Zusammenhänge erlebbar zu machen und zu erkennen.
Mit Alltagstätigkeiten wie z.B. Backen, Kochen, Waschen, Reinigen, Spielzeug fertigen und pflegen etc. ermöglichen wir dem kleinen Kind im Kindergarten, solche Zusammenhänge wahrzunehmen und dadurch Sinn- und Zweckerfahrungen zu machen.
Das kleine Kind hat den Drang, an der Welt tätig Anteil zunehmen und nur so kann es diese durchschauen und sinnvoll geordnet erfahren.
Nicht durch intellektuelle Belehrung erschließt sich dem kleinen Kind die Welt, sondern im Miterleben solcher
durchschaubarer Tätigkeiten und im eigenen tätigen Umsetzen des Erlebten im täglichen Spiel. Hier erfährt es die
Welt als handhabbar und durchschaubar.
In aller Regel können Kinder im Vorschulalter sich auf ihr eigenes Spiel hingebungsvoll einlassen, wenn sie in ihrer
Umgebung den Erwachsenen als Vorbild in seinen eigenen sinnvollen Arbeitsprozessen erleben.
Aber nicht nur die sinnlich wahrnehmbare Umgebung hat auf das kleine Kind einen Einfluss, sondern auch die
Empfindungen, Gedanken und Emotionen der Erwachsenen hinterlassen einen prägenden Eindruck.
Das kleine Kind hat nicht die Möglichkeit sich zu distanzieren, vielmehr ist es den Eindrücken existentiell ausgesetzt.
Es identifiziert sich in jedem Augenblick mit seinem Lebensumkreis.
Diese Hingabe- oder Nachahmungsfähigkeit liegt in der Natur des kleinen Kindes und fordert vom Erwachsenen
höchstes Verantwortungsbewusstsein in seinem Handeln.
Vorbild und Nachahmung sind die zwei „Zauberworte“, die das Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenen in den ersten Lebensjahren beschreiben.
Das frei im sozialen Umkreis sich betätigende Kind
Neben dem, was der/die Erzieher*in mit den Kindern spricht, haben die Kinder auch einen sozialen Begegnungsraum untereinander, in dem sie sich frei bewegen.
Dieser ist durch das waldorfpädagogische Konzept so gestaltet, dass reichhaltig Gelegenheit für Begegnung, Beziehung und damit auch für Sprache vorhanden ist.
Der wichtigste Punkt an dieser Stelle ist das freie Spiel, dem der Waldorfkindergarten viel Aufmerksamkeit, Zeit und Raum gibt. Das Spielmaterial ist freilassend und anregend zum Bauen, Gestalten, für Rollenspiele, Puppenspiele und Sinnes- sowie Bewegungserfahrung. Bei diesem Spiel ist das Kind fortwährend in Beziehung zu sich und den anderen Kindern, kein Medium (wie z.B. Bilderbücher, Musik, CD o.ä.) schirmt es von der Gruppe ab. Selbst wenn es sich zurückziehen möchte und eine „Höhle“ oder ein „Haus“ baut, kann es jederzeit aus eigenem Impuls wieder Kontakt zu den „Nachbarn“ aufnehmen. Im freien Spiel kommunizieren die Spielpartner ständig über den Verlauf des Spiels miteinander: was soll angebaut werden, was geschieht als nächstes, welches Material wird benötigt.
Da Sprache und Bewegung in engem Zusammenhang stehen, ist auch hier von Bedeutung, dass das Spiel drinnen, aber vor allem auch bei jedem Wetter draußen, reichlich Anlass für vielfältige Bewegung bietet.