1. Präambel
Die Ehrfurcht vor der
Menschlichkeit
des Kindseins,
seiner Vertrauenskraft
und Dankbarkeit,
seiner Sehnsucht
nach Freude und Glück -
sie fordert
Selbstlosigkeit,
fordert unsre besten und
reinsten Kräfte.
Helmut von Kügelgen
Der Waldorfpädagogik liegt ein Menschenbild zugrunde, das durch die anthroposophische Menschenkunde Rudolf Steiners im Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde und in der pädagogischen Praxis der Waldorfkindergärten und Waldorfschulen zum Ausdruck kommt. Anthroposophische Menschenerkenntnis hat eine Erneuerung in den unterschiedlichsten Lebensbereichen erbracht, neben Landwirtschaft, Medizin, Architektur, Kunst, auch in der Erziehung des heranwachsenden Menschen. Aus ihr ergibt sich eine Erziehungspraxis, die sich an den Entwicklungsstufen des Kindes orientiert.
Leitbild
Die Kindeserziehung wird heute durch gesellschaftliche Faktoren wesentlich bestimmt. Nicht nur das Leben in der Familie verändert sich dadurch, auch eine gesunde Kindheitsentwicklung und deren Schutz durch die Eltern werden zunehmend erschwert.
Die Aufgaben und Anforderungen des Elternhauses sind durch die gesellschaftlichen Veränderungen in vielen Fällen nur schwer zu bewältigen. Alleinerziehende und berufstätige Eltern prägen zusehends das Bild der Familie heute. Die Bedingungen für eine gesunde Kindesentwicklung, Räume und Zeiten der Hinwendung, soziale Orientierung mit Bezugspersonen, kindgemäße Ansprache, phantasievolles Spiel, rhythmische Gliederung der Zeit, Sinnespflege, genügendes Maß an Bewegung und die Pflege von Ritualen verlieren im familiären Alltag häufig ihren Platz. Dazu kommt eine technisierte Umwelt, die einer gesunden Entwicklung des Kleinkindes in hohem Maße abträglich ist.
Diesen Anforderungen an eine kindgemäße Erziehung wollen wir uns im Waldorfkindergarten und in der Waldorfkrippe Lüneburg stellen. Für das kleine Kind schaffen wir familienergänzend einen gesunden und entwicklungsfördernden Lebensraum, um seine individuellen Neigungen, Begabungen und Interessen zur Entfaltung zu bringen. Auf diesem Wege unterstützen und begleiten wir das Kind und seine Eltern.
Grundlage unserer Arbeit ist das aus Anthroposophie hervorgehende Menschenbild Rudolf Steiners. Wir schöpfen täglich aus dem kollegialen Erfahrungsaustausch, den Konferenzen und Fortbildungen, dem künstlerischen Tun und der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Eltern.
Das kleine Kind ist gänzlich nachahmendes Wesen und folgt in bedingungslosem Vertrauen den Impulsen seiner Umgebung. Dies erfordert vom Erwachsenen fortwährend ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Arbeit an sich selbst. Pädagogik im Waldorfkindergarten bedeutet immer Entwicklung aller Beteiligten, auch der Erwachsenen. Erziehung ist Selbsterziehung. Dieser Tatsache verpflichten wir uns.
Um die vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können, bedarf es einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Beteiligten.
2. Der Waldorfkindergarten/die Waldorfkrippe
Kindergartenbiografie
Der Waldorfkindergarten Lüneburg öffnete im September 1982 für 22 Kinder seine Pforten. Zuvor hatten Eltern in vielen freiwillig geleisteten Stunden die Räume liebevoll und behaglich hergerichtet. An den vorbereitenden Arbeiten waren Menschen vom Birkenhof und dem Bauckhof maßgeblich beteiligt. Die Zahl der angemeldeten Kinder wuchs schnell. Bereits im darauffolgenden Jahr konnte eine zweite Gruppe eingerichtet werden. Fröhliche Feste mit Puppenspielen und Tanz, Kleinkindeurythmie, Elternabende, Kurse und nicht zuletzt die Kinder erfüllten das Haus der alten „Igelschule“ mit ihrem Gesang und Spiel.
Da die Stadt Lüneburg ihre Räume wieder selbst nutzen wollte, entstand nach umfangreichen Planungs- und Bauarbeiten auf benachbartem Grundstück unser neues Haus als Heimat für den Waldorfkindergarten Lüneburg. Zu Pfingsten 1994 zogen zwei fröhliche Kindergartengruppen in das neue Haus ein. Zunehmend wuchs die Zahl der angemeldeten Kinder. Die Warteliste wurde länger und länger…
Durch engagierte Elternarbeit wurde eine Bezuschussung der Kinder aus den Landkreisen erreicht und so die Kindergartenfinanzen auf „solide Füße“ gestellt. Das ursprünglich für zwei Gruppen konzipierte Haus konnte im Dachgeschoss noch weiter ausgebaut, der dritten im Jahre 2000 entstandenen Gruppe und einer “Kleinen Kindergartengruppe“ Räumlichkeiten gegeben werden. Nun waren es fast 100 Kinder, die in dem schönen Haus einen sicheren Hort fanden, eine Stätte zum Lachen, Spielen, Singen, in dem Kindheitskräfte geschützt und gepflegt werden.
Immer mehr Eltern entschließen sich aus unterschiedlichen Gründen ihr Kind unter 3 Jahren in die Betreuung einer Kleinkindgruppe zu geben. Auf diese wachsende Nachfrage hat der Waldorfkindergarten Lüneburg mit der Einrichtung einer Krippe für Kinder zwischen 1-3 Jahren reagiert, die 2009 für 11 Kinder eröffnet wurde. Die Kinder werden von drei Erzieherinnen betreut.
Die Gruppen
Im Kindergarten werden Kinder in drei großen Kindergartengruppen mit 24 Kindern (Lavendel-, Sonnenblumen-, Rosengruppe) und einer „Kleinen Kindergartengruppe“ mit 11 Kindern (Veilchengruppe) ab dem 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt betreut. In der Krippe (Gänseblümchengruppe) werden 11 Kinder ab dem 2. Lebensjahr aufgenommen.
Eltern-Kind-Kreis-Gruppe
An 6 Sonnabenden im Jahr (s. Termine auf unserer Homepage) können Eltern mit ihren Kindern von 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr an einem „Schnupperkreis“ teilnehmen, um sich einen Einblick vom Leben und Arbeiten im Waldorfkindergarten zu machen. Hier wird in heiterer Atmosphäre gespielt, gesungen, gefrühstückt und geklönt.
Das Kollegium
Der Waldorfkindergarten Lüneburg ist eine sich selbst verwaltende Organisation in kollegialer Führung. Dies erfordert neben der Fachkompetenz ein hohes Maß an kollegialer Zusammenarbeit und Selbstreflexion.
Durch die zunehmenden Aufgaben im Kindergartenalltag wurde es als sinnvoll erachtet, eine Kollegin für die Aufgabenbereiche der Kindergartenleitung freizustellen.
Jede Kindergartengruppe wird von zwei, in der Krippe von drei Erzieherinnen geführt. Wir bieten drei Plätze für den Bundesfreiwilligendienst und zusätzliche Praktikantenstellen an. Alle Mitarbeiter verpflichten sich, die Waldorfausbildung zu absolvieren.
Die pädagogischen Mitarbeiter treffen sich einmal wöchentlich zu einer gemeinsamen Konferenz. Hier werden die waldorfpädagogischen Grundlagen vertieft, pädagogische Themen und Fragen des Kindergartenalltages bewegt und miteinander bearbeitet. In den einzelnen Gruppen werden gruppeninterne Themen bewegt und Aufgaben geplant, besprochen und reflektiert. Jede Mitarbeiterin hat die Möglichkeit einmal im Jahr an einer Fortbildung teilzunehmen.
3. Pädagogisches Konzept/Waldorfpädagogik in den ersten 7 Jahren
Betrachten wir das kleine Kind bis zum Schulalter hin, dann können wir erleben, wie gerade in diesem Alter die Erfahrungen und Lernprozesse im höchsten Maße vom Kinde selbst ausgehen. Auf der einen Seite ist es ganz an die Umgebung hingegeben und auf der anderen Seite hat es einen ausgeprägten Tatendrang.
Die gesunde Entwicklung des Kindes hängt entscheidend von den Bedingungen ab, die es in seiner Umgebung vorfindet.
Es ist hier nicht nur die gegenständlich-materielle Umgebung des Kindes gemeint, sondern vielmehr der ganze Lebensraum, in dem sich das kleine Kind bewegt.
Dazu gehört nicht nur die seelische Gestimmtheit der Erzieher, auch die rhythmische Gliederung des Tages, einer Woche, des Jahres. Kinder im Vorschulalter lieben die Wiederholung vertrauter Ereignisse, wie z.B. das Feiern der Jahresfeste, und freuen sich, wenn sie Bekanntes wiedererkennen. Die Ordnung der Räume spielt eine große Rolle. Jedes Ding hat seinen Platz und wird an seinem Orte wieder vorgefunden.
Die Kinder wollen erfahren, dass die Dinge und Vorgänge des Lebens in einem Zusammenhange stehen und dadurch einen Sinn und Zweck enthalten.
In unserer technisierten Umwelt wird es zunehmend schwerer, Zusammenhänge erlebbar zu machen und zu erkennen.
Mit Alltagstätigkeiten wie z.B. Backen, Kochen, Waschen, Reinigen, Spielzeug fertigen und pflegen etc. ermöglichen wir dem kleinen Kind, im Kindergarten solche Zusammenhänge wahrzunehmen und dadurch Sinn- und Zweckerfahrungen zu machen.
Das kleine Kind hat den Drang an der Welt tätig Anteil zunehmen und nur so kann es diese durchschauen und sinnvoll geordnet erfahren.
Nicht durch intellektuelle Belehrung erschließt sich dem kleinen Kind die Welt, sondern im Miterleben solcher durchschaubarer Tätigkeiten und im eigenen tätigen Umsetzen des Erlebten im täglichen Spiel. Hier erfährt es die Welt als handhabbar und durchschaubar.
In aller Regel können Kinder im Vorschulalter sich auf ihr eigenes Spiel hingebungsvoll einlassen, wenn sie in ihrer Umgebung den Erwachsenen als Vorbild in seinen eigenen sinnvollen Arbeitsprozessen erleben.
Aber nicht nur die sinnlich wahrnehmbare Umgebung hat auf das kleine Kind einen Einfluss, sondern auch die Empfindungen, Gedanken und Emotionen der Erwachsenen hinterlassen einen prägenden Eindruck.
Das kleine Kind hat nicht die Möglichkeit sich zu distanzieren, vielmehr ist es den Eindrücken existentiell ausgesetzt. Es identifiziert sich in jedem Augenblick mit seinem Lebensumkreis.
Diese Hingabe- oder Nachahmungsfähigkeit liegt in der Natur des kleinen Kindes und fordert vom Erwachsenen höchstes Verantwortungsbewusstsein in seinem Handeln.
Vorbild und Nachahmung sind die zwei „Zauberworte“, die das Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenen in den ersten Lebensjahren beschreiben.
Gehen lernen, Sprechen lernen, Denken lernen sind die drei wichtigsten fundamentalen Fähigkeiten des menschlichen Lebens, die sich ein Kind in den ersten drei Jahren aneignet. Alle drei Fähigkeiten sind von Beginn an eng miteinander verwoben.
Das Aufrichten ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Sprechen lernen, durch das sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Dieser Prozess des Aufrichtens, der bis zum Ende des ersten Lebensjahres andauert, stärkt das Vertrauen des Kindes und gibt Lebenssicherheit. Ganz wichtig ist hierbei, dass das Kind diesen Prozess aus eigener Kraft erringen kann und nicht in die aufrechte Haltung gebracht wird. Das Kind löst seinen Leib aus der Schwere und kann sich frei in der Welt bewegen.
Mit dem zweiten großen Schritt erwirbt sich das Kind die Sprache. Die entscheidende biologische Voraussetzung für den Spracherwerb ist das frei werden der oberen Extremitäten durch den Aufrichteprozess, die Atemmuskulatur wird dadurch unabhängig und die leibliche Basis für die Entwicklung des Sprechens ist geschaffen. Erobert das Kind mit dem aufrechten Gang den physischen Raum, erschließt sich ihm nun der soziale und seelische Raum, in dem es sich anderen mitteilen und sich austauschen kann.
Wie beim Aufrichteprozess kann auch das Sprechen nicht ohne das Vorbild des Erwachsenen erlernt werden. Das Kind nimmt alles durch die Kraft seiner Nachahmung auf, sodass vom Erwachsenen möglichst „gut“, deutlich, verständlich und in ganzen Sätzen gesprochen werden muss.
Die Entwicklung der Sprache, das Sprechen lernen und die Bildung des Erinnerungsvermögens schafft die Voraussetzung für das bewusste Denken.
Zunächst lebt das „Denken“ des kleinen Kindes ganz im körperlichen Tun. Durch das wiederholte Nachahmen von sinnvollen praktischen Tätigkeiten, wie z.B. Fegen des Bodens, lernt es durch häufiges Beobachten den Sinn und Zweck dieser Tätigkeit erkennen. An solchen Vorgängen bildet sich zunehmend das Denken heran, das sich dann mehr und mehr unabhängig von Sinneseindrücken entfalten kann. Bis zur Schulreife hin wird diese Fähigkeit immer bewusster beherrscht, was sich an komplizierteren und anspruchsvoller werdenden Satzbildungen zeigt.
Im dritten Lebensjahr erlebt das Kind einen ganz einschneidenden Augenblick, in dem es erstmals in vollem Bewusstsein zu sich „Ich“ sagt und nicht mehr in der dritten Person von sich spricht. Ich bin ein Ich, diese Tatsache löst eine Krise aus, die wir gewöhnlich als Trotzphase bezeichnen. Es ist für das Kind etwas ganz Neues, Unbekanntes, das oft mit großer Aufregung für alle Beteiligten von statten geht.
Bis zu diesem Ereignis reicht die Erinnerungsfähigkeit des Menschen zurück, von der davorliegenden Zeit aber, dem Erlernen des aufrechten Ganges, des Sprechen- und Denkenlernens, hat der Mensch keine bewusste Wahrnehmung.
Diese Zeit des unbewussten Lernens liegt noch vor dem Kindergartenalter, in der Krippenzeit der Kinder. Sie braucht in besonderem Maße einen geschützten pädagogischen Raum.
Bildungsbereiche:
Im rhythmisch gegliederten Tageslauf beginnt der Kindergartentag mit der Zeit der so genannten „Freispielzeit“. Es ist eine Zeit, in der die Kinder ihren eigenen Spielimpulsen nachgehen können. Sie erfahren keinerlei Aufforderung oder Regieanweisung von außen, sondern setzen dieses Spiel aus sich heraus in die Welt. Es ist dies eine Grundäußerungsform des Kindes, durch die es sich in die Welt hineinstellt und sich mit ihr verbindet.
In den ersten Lebensjahren bis zur Schulreife hin sind verschiedene Phasen von Spielentwicklung beim Kinde zu beobachten.
Zunächst ist das Spiel nur aus der Bewegung hervorgehend. Das zweijährige Kind baut einen Turm und stößt ihn mit Freude wieder um und das wird unendliche Male wiederholt.
Das Kind im dritten bis fünften Lebensjahr ist durchdrungen von Fantasiekräften, die die Gestaltung der Umgebung in mannigfaltiger Art und Weise bewegen. Aus einem Blatt wird ein Segel, eine Mütze, ein Regenschirm u.v.m., diese Dinge haben jeweils nur in der Gegenwart Gültigkeit und können sich im Tun sofort wieder verwandeln.
Im sechsten bis siebten Lebensjahr bemerkt man eine deutliche Veränderung im Spiel. Die Kinder sind in ihrem Spiel in die Zukunft gerichtet. Das Spiel kann sich über eine längere Zeit hin erstrecken. Bei einer Schiffsfahrt werden Eintrittskarten hergestellt und verteilt. Die benötigten Utensilien werden aus einfachen Gegenständen der Umgebung hergestellt. So wird ein Anker aus Sandsäckchen und langem Band geschaffen, oder das Lenkrad aus einem entsprechenden Stück Rinde. Es kommen immer wieder neue Gestaltungselemente ins Spielgeschehen dazu hinein. Die kleineren Kinder werden mit einbezogen, als Passagiere, als mitgeführte Hunde und Katzen, was gerade gebraucht wird. Die Sechsjährigen sind die tonangebenden Regisseure des Spieles.
Eine zentrale Aufgabe im Waldorfkindergarten ist es, die Bedingungen für ein kindgerechtes Spiel zu schaffen, die den Kindern in allen Stufen ihrer Entwicklung ermöglicht, sich „frei spielend“ und selbständig in die Welt zu stellen.
Rhythmisch-musikalisch-künstlerische BildungAlle lebendigen Vorgänge sind durch Rhythmen geordnet. Der gesamte Kosmos, sowie auch die Lebensprozesse von Pflanzen, Tieren und Menschen verlaufen in rhythmischen Abfolgen. „Rhythmus trägt Leben, er ist der Träger unserer Gesundheit“ sind Worte Rudolf Steiners.
Kinder haben von sich aus keinen Rhythmus, sie sind ganz von der Außenwelt abhängig. Umso mehr sind sie auf den Erwachsenen angewiesen, der ihnen zu einem gesunden Rhythmus verhelfen kann. Je rhythmischer das Leben des kleinen Kindes verläuft, umso gesünder wird es sich entwickeln.
Wir pflegen im Kindergarten den Tages- Wochen- und Jahreslauf als eine gleichbleibende sich wiederholende Abfolge von Aktivitäten. So gliedert sich der Tag in der Regel in verschiedene Elemente wie Freispielzeit, Reigenzeit, Märchenstunde oder Erzählen einer rhythmischen Geschichte und hauswirtschaftlichen oder handwerklichen und künstlerischen Tätigkeiten. Die Wochentage werden geprägt durch den Frühstücksspeiseplan, durch die Eurythmie, Wasserfarbenmalen etc. und die vielen wiederkehrenden Jahresfeste – Ostern, das Sommerfest, Erntedank, Advent, Weihnachten geben dem Jahr seine Gliederung. Durch das Vorbereiten und das Feiern der Jahresfeste lernt das Kind die Sitten und Gebräuche seines Lebensumfeldes kennen. Es erlangt durch die Wiederholung innere Sicherheit und Vertrauen in die Welt.
Rhythmus verbindet Sprache, Musik und Bewegung. Diese drei Dinge durchziehen ganz elementar das Leben des kleinen Kindes. Im Kindergarten bieten sich dazu vielerlei Möglichkeiten, wie z.B. Lieder und Verse zu denen täglich gesungen wird und zu denen der Erwachsene im Reigen Bewegungen macht, die dem Inhalt entsprechend sind. Unaufgefordert machen die Kinder die Gesten und Bewegungen mit und erwerben sich ohne jegliche Belehrung komplexe sensomotorische Fähigkeiten, die sie in ihrer Entwicklung voranbringen.
Die Eurythmie ist eine von Rudolf Steiner entwickelte Bewegungskunst, in der Sprache und Musik in den ihnen entsprechenden Bewegungsformen sichtbar gemacht wird. Sie ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Waldorfpädagogik. Die Eurythmie im Waldorfkindergarten wird als zusätzliches bewegungspädagogisches Mittel angeboten. Mit Hilfe von Sprache, Bewegung und musikalischen Klängen unterstützt sie die ganzheitliche Entwicklung des Kindes. Sie schult das Sozialverhalten in der Gruppe, erweitert das Orientierungsvermögen im Raum und fördert die Fein- und Grobmotorik. Da Sprach- und Bewegungsentwicklung des Kindes in einem engen Zusammenhange stehen, findet durch die Eurythmie eine wechselseitige Förderung beider Bereiche statt. „...sie kann in den Jahren des Wachstums noch in unmittelbarer Weise auf die Bildung des Organismus und auf das Durchgestalten der Körperproportionen Einfluss nehmen ... die Laut-und Toneurythmie wirkt direkt harmonisierend auf das Kind und verbessert sein Ausgangssituation.“
(aus: Kindersprechstunde; W. Goebel, M. Glöckler)
Ein Höhepunkt der Woche ist es, wenn die Kinder in ihren farbigen Seidenkleidern und weißen Schühchen von der Eurythmistin in den Eurythmieraum geführt werden und hier in andächtiger Aufmerksamkeit und Erwartung auf Sprache und Musik lauschen dürfen.
Das kleine Kind bewegt sich immer gerne zu Liedern, Gedichten und Geschichten. Diese Freude greift die Eurythmie in ihrer Methodik auf und vermittelt den Kindern Lautgebärden, durch die sie nachahmend Tiere, Pflanzen usw. gemeinsam darstellen und die Welt erkunden können: Sie selbst sind der Schuster in seiner Stube, Tante Jule die das Birnenmus einkocht, die galoppierenden Pferde oder der Zwerg, der im Berg arbeitet. Durch die Eurythmie erlebt das Kind auch die Gegensätze zwischen laut und leise, zwischen groß und klein, lang und kurz, schnell und langsam. So lernt es allmählich, den Bezug zur Umgebung zu entwickeln und seine „eigene Mitte" darinnen zu finden. Es wird jedoch nicht nur die Schönheit in der Bewegung geübt, sondern auch deren Bildhaftigkeit: Mal gehen die Kinder behutsam wie ein scheues Reh, tapsen wie ein Bär oder schleichen wie die Katze, sie spüren dem Schnee oder dem Regen nach, sie lassen die Sonne leuchten und die Sterne funkeln.
Bewegung, Leibesentwicklung und Gesundheit
Das kleine Kind ist immer in Bewegung. In keinem anderen Lebensalter hat Bewegung eine so überragende Bedeutung wie in den ersten Lebensjahren. Sie stärkt die Leibesbeherrschung und legt die wichtigsten Grundlagen für ein positives Körpergefühl, eine gesunde Leibesentwicklung und eine ausdrucksstarke Seelenfähigkeit.
In den ersten zwei Lebensjahren erobert das Kind seinen Leib. Es beginnt mit der ersten Koordination der Augen, der Kontrolle der Kopfbewegung, dem Spiel mit den Händen und Füßen, dann kommt das Rollen, Robben, Krabbeln, bis hin zum Aufrichten und Gehen.
Bis zum 5. Lebensjahr gewinnt es Sicherheit im Gleichgewicht, kann Treppensteigen, ausdauernd gehen, hüpfen springen usw. Es erwirbt sich eine Geschicklichkeit, vom Binden einer Schleife, Einfädeln einer Nadel, etc.
Im sechsten und siebten Lebensjahr beherrscht das Kind zunehmend die Koordination der Arme, Hände, Beine und Füße. Die Gliedmaßen gestalten sich aus und erhalten eine neue Proportion zum übrigen Leib. Jetzt kann es mit Leichtigkeit und großem Eifer Stelzenlaufen lernen und mit großer Freude Seilspringen, u.a.m.
Die körperliche Reife ist ein Anhaltspunkt für das Erreichen der Schulreife. Die Bewegungsentwicklung wird für das Kind gesund verlaufen, wenn es genügend Bewegungsraum hat, Zeit zum Üben und natürliches Spielmaterial zum Bauen und „Arbeiten“, ferner rhythmisch wiederkehrende Abläufe und sinnvoll geordnete Tätigkeiten, die sich strukturierend auf die Leibesentwicklung auswirken.
Aus diesen Gründen legen wir Wert auf ein wiederkehrendes regelmäßiges Angebot an Fingerspielen, Reigenspielen, Reimen, Liedern und Geschichten.
Das Spiel drinnen und draußen, sowie die Wandertage, möglichst bei jedem Wetter, ermöglichen den Kindern vielfältige Bewegungserfahrung und –schulung.
Sprachentwicklung
Eingebettet in einen sozialen Sprachraum nimmt bereits das Neugeborene ´mitahmend`, leiblich mitvollziehend alle Voraussetzungen für das eigene Sprechenlernen auf. So beschränkt sich das frühe Lauterlebnis des Kindes nicht nur auf das Hören, sondern es empfindet auf dem Weg des Angenommenseins und des allmählichen Erwachens eine Fülle von Sinnesreizen, welche es später zum eigenen Sprechen anregen und befähigen werden. Taktil-kinästhetische Reize, Eindrücke der Mimik und Gestik, die Wahrnehmung der Mundbewegungen und die Gestimmtheit der Eltern (o.a. Bezugspersonen) bilden ein komplexes Lern- und Erfahrungstableau für das Kind. Die eigentliche Sprachentwicklung selbst vollzieht sich meist im Laufe des 2. Lebensjahres. Erst wenn das Kind die gewaltige motorische Leistung vollbracht hat, sich in die Aufrichte zu begeben und frei stehen und gehen zu können, wird der Sprach- und Atemraum ´erobert` und gestaltet. Das Sprechenlernen bedarf der intensiven Übung, der Erprobung und Koordinierung, aller am Sprechvorgang beteiligten Muskeln und Sprachorgane, in Abstimmung mit dem Ausatmungsstrom und gleicht einer Bewegungskunst. Durch die intensive motorische Tätigkeit der Lautbildung wiederum findet gleichzeitig eine verstärkte neuronale Vernetzung im Gehirn des Kindes statt, so dass sprachlich erworbene Strukturen die Grundlage bilden für alles, was das Kind später an intellektuellen Leistungen vollbringt. Kein Kind kann die Sprache aus sich heraus lernen, es bedarf dazu immer des (lebendigen) Vorbildes, des Gesprächpartners und der Gemeinschaft.
Im Waldorfkindergarten wird neben dem erlebnisorientierten-, tätigkeits- und spielbegleitenden Gespräch mit und unter den Kindern ein besonderer Schwerpunkt auf sprachentwicklungsfördernde Bewegungsangebote gelegt. So bilden Reigen, in denen Lieder und Reime erklingen, die Kindergarteneurythmie, in der Sprache oder Musik bewegte Ausdrucksformen bilden, darstellende Puppenspiele, in denen wiederkehrend rhythmische Geschichten den Kindern zum Erleben gebracht werden u.a. feste Bestandteile der Bewegungs- und Spracherziehung. Immer wenn Sprache, Gesang und Bewegung zu einer Einheit verschmelzen und rhythmisch-musikalische Elemente der Sprache erklingen, werden die Kinder, frei von allen begrifflichen Definitionen, in ihrer Sprechfreude angeregt. Sie können ihren Wortschatz erweitern, umfassendere Satz-, bzw. Sinnzusammenhänge erfassen und vermögen immer mehr sowohl ihre eigenen Gefühle und Gedanken auszudrücken, als auch anderen Menschen zuzuhören und das Gehörte mitempfindend nachzuvollziehen.
Die pädagogischen Mitarbeiter pflegen einen bewussten Umgang auf dem Gebiet der Sprache und achten auf Natürlichkeit, auf eine den Kindern zugewandte und deutliche Sprache, auf einen wohlklingenden Tonfall und ein durchatmetes Sprechen.
Grundlagen mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung
Im vorschulischen Alter erforscht das kleine Kind seine Umgebung mit spontaner Tätigkeit und Empfindung. Es hat für alles ein großes Interesse und eine große Neugierde und alles was es erlebt schlägt sich in seinem Spiel nieder. Das Kind baut, konstruiert, sortiert, ordnet und probiert aus. Es eignet sich hierbei unbewusst mathematisch- physikalische- naturwissenschaftliche Bildung an, die eine hervorragende Vorbereitung auf künftiges bewusstes Lernen ist. Es erlebt in sinnlicher Unmittelbarkeit Maße und Gewichte, lange bevor es im engeren Sinne rechnet oder physikalische Gesetze anwenden kann.
Das kleine Kind lernt durch das eigene Tun und Handeln die Gesetzmäßigkeiten und Eigenschaften seiner Umwelt kennen. Beim Sich-Aufrichten, beim Gehenlernen setzt es sich unbewusst mit der Schwerkraft auseinander. Beim Schaukeln, Seilspringen, Wippen und Rutschen erfährt es leiblich Fliehkraft, Reibung, Schwung etc. Hebelgesetze, Statik und Balance werden im Bauen mit Brettern, Murmelbahnen und Türmen erprobt. In Reigen und Eurythmie werden geometrische Formen wie Kreis und Mittelpunkt, Spiralen, Innen und Außen, Oben und Unten durch die eigenen Bewegungen erlebt.
Mengen und Zahlen erfahren die Kinder z.B. beim Tischdecken, beim Schneiden eines Apfels fürs Müsli, beim „Kreuze machen“ in die Brötchen. Beim Abwaschen erleben sie die „Dichteunterschiede“, die „Oberflächenspannung“ von Wasser, „Schwingungen“ und „Schallwellen“ beim Spielen der Kinderharfe u.v.a.mehr.
Beim Aufräumen nach dem täglichen Freispiel werden die gebrauchten Materialien sortiert und an ihren Platz gebracht. Das bildet den Sinn für Ordnung, fördert den Überblick und die Selbständigkeit.
Bildung sozialer Fähigkeiten
Der Schritt aus der Gemeinschaft der Familie heraus in eine größere Gemeinschaft wie Krippe oder Kindergarten ermöglicht dem kleinen Kind neue soziale Erfahrungen. Es trifft auf jüngere oder ältere Kinder in einem gegebenen Gruppengefüge, mit denen man sich arrangieren muss. Es ist eingebettet in einen vertrauten Menschenkreis und eine vertraute Umgebung, in der tragende Beziehungen aufgebaut werden können. Der sich wiederholende Tages- Wochen- und Jahreslauf schafft Vertrauen in die Welt und bietet die Grundlage für das Wachsen der Sozialkompetenz.
Es lernt Beziehungen aufbauen zu Erwachsenen, wie auch zu Gleichaltrigen, lernt Rücksicht zu nehmen, warten zu können und erlebt wie die Großen den Kleinen helfen, besonders im letzten Jahr vor der Schule. Sie übernehmen selbständig Aufgaben und leiten die Kleineren an. Gerade zum Schulalter hin verändert sich das Lernverhalten des Kindes. Es können nun besprochene und verabredete Regeln eingesehen und befolgt werden, sodass nun soziale Fähigkeiten bewusst erübt werden können.
Wenn ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein und Sicherheit zur Verfügung steht, kann ein Kind in Konfliktsituationen nachgeben, es kann warten bis es an die Reihe kommt, kann verzichten, verlieren und verstehen.
Im gemeinsamen Einnehmen der Mahlzeiten werden im besonderen Maße die sozialen Kräfte gepflegt. Gemeinsam wird sie mit einem Spruch begonnen, ebenso wieder beendet. Hier nehmen die Kinder den Erwachsenen, wie in allen anderen Tätigkeiten auch, als Vorbild wahr und orientieren sich an ihm. Auch die Art wie der Erwachsene mit Konfliktsituationen umgeht, wird vom Kinde wahrgenommen und nachgeahmt.
Grundlagen für elektronische Medienkompetenz
Elektronische Medienkompetenz entsteht nicht am Medium und nicht durch die Mediennutzung in der frühen Kindheit! Um einen kompetenten Umgang auszubilden, müssen eine Entwicklungsreife und Fähigkeiten vorhanden sein, die sich am elektronischen Medium nicht ausbilden lassen.
Bei Computer und Fernsehen reduzieren sich die Sinneseindrücke auf Auge und Ohr und dasjenige, was gesehen und gehört wird, stimmt oftmals nicht überein (unsichtbarer Sprecher oder Musik). Außerdem wird dem Kind seine natürliche Bewegungsaktivität genommen, die aber für das Lernen im Kleinkindalter unerlässlich ist.
Kinder im Vorschulalter verstehen kaum die Zusammenhänge eines Filmes und es fehlt ihnen die Wahrnehmung was „echt“ oder „unecht“ ist. Sie halten das Filmgeschehen für Realität. Erst im Grundschulalter stellt sich allmählich ein Unterscheidungsvermögen zwischen Fiktion und Wirklichkeit ein.
Das kleine Kind ist darauf angewiesen, dass ihm eine gesunde Umgebung geschaffen wird, die ihm größtmögliche differenzierte Sinneseindrücke bietet und in der es sich tätig erfahren kann. Nur so kann es seine motorischen und sensorischen Fähigkeiten differenziert ausbilden. “Was für ältere Jugendliche und Erwachsene eine notwendige Herausforderung ist, ist für Kindergarten– und jüngere Schulkinder eine Gefahr für ihre gesunde Entwicklung: Nachweislich bilden sich in dieser Zeit primäre sensomotorische Erfahrungen und ihre sensomotorische Integration, eine gesunde neurobiologische Grundlage für eigenständiges Denken und Identitätsbildung.“ (Michaela Glöckler, Autorin der „Kindersprechstunde“)
Die Waldorfpädagogik sieht daher keine überzeugende Begründung, elektronische Medien als pädagogisches Mittel in Kindergarten und Grundschule einzusetzen.
(Literaturhinweis: Manfred Spitzer, Hirnforscher: „Vorsicht Bildschirm! Der Einfluss von Bildschirm-Medien auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“, DVD sowie "GESUND AUFWACHSEN in der digitalen Medienwelt, eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten", Diagnose:media, Stuttgart 2018)
4. Zusammenarbeit mit der Schule
Das Vorschulkind/Der Übergang vom Kindergarten zur Schule
Das Spielverhalten unterscheidet sich bei den Sechsjährigen sehr von dem der jüngeren Kinder. Sie versuchen im Spiel die Dinge, die sie einmal erlebt und gesehen haben, nachzubilden. Sie benötigen nicht unbedingt die Anregung von außen, wie das jüngere Kind, sondern können Spielideen aus der Erinnerung schöpfen. So legen sie großen Wert auf die detailgerechte Ausstattung einer Zugfahrt, die sie erinnern. Es werden Fahrkarten hergestellt, ein „Knipser“ muss dabei sein etc., alles muss so realistisch wie möglich gestaltet sein. Das Spiel findet mit gleichaltrigen Kindern gemeinschaftlich statt, es werden Regeln festgelegt und Rangordnungen ausgehandelt. Die jüngeren Kinder dürfen mitspielen, aber die sechsjährigen führen die Regie und weisen den Kleinen ihre Rollen zu.
In solchen Spielabläufen zeigt sich nun, wie die Sechsjährigen ein großes Maß an Überblick über eine Sache gewonnen haben. Sie können Abläufe organisieren und überschauen.
Auch die erwachende Sozialkompetenz gehört zu den Eigenschaften der Sechsjährigen im Kindergarten. Sie übernehmen nun selbständig Aufgaben wie Tischdecken, Einkäufe auf dem Schulgelände, Arbeiten an der Werkbank, Näharbeiten etc. Sie zeigen den Kleinen, wie man „es macht“ und helfen ihnen beim Schuhe binden und Anziehen, sie sind die Wissenden unter den Kindergartenkindern (in manchen Gruppen auch Königskinder genannt) und genießen diesen Status. Sie können jetzt Seilspringen, Stelzenlaufen, Balancieren etc.
Erfahrungsgemäß erreichen die Kinder diese motorische Geschicklichkeit nicht vor dem sechsten/siebenten Lebensjahr, die ihnen erlaubt all diese Aufgaben selbständig zu übernehmen. Die Erfolgserlebnisse die sie daran haben, fördern ihr Selbstvertrauen, das sie stark macht für die Schule.
Die „Schulreife“ war bislang in Deutschland ein Entwicklungsstatus der mit dem sechsten Geburtstag, also zu Beginn des siebenten Lebensjahres, erwartet wurde. Wichtige Anhaltspunkte waren Zahnwechsel, Gestaltwandel, motorische und sensorische Reife etc. Heute ist davon keine Rede mehr, wenn der Einschulungszeitpunkt immer weiter vorverlegt wird.
Hier ist nun eine enge Zusammenarbeit, wie sie zwischen dem Waldorfkindergarten und der Rudolf Seiner Schule Lüneburg gepflegt wird, unerlässlich geworden. In Elternabenden, Entwicklungsberatungsgesprächen, Voraufnahmen mit einem Schularzt etc. wird die „Schulreife – Schulfähigkeit – Schulbereitschaft“ von Erziehern, Lehrern und Eltern thematisiert, um sich dem richtigen Zeitpunkt für den Übergang zum schulischen Lernen der Kinder gemeinsam zu nähern.
Die Einrichtung einer „Übergangsbegleitung“, hat sich zur Unterstützung des Schwellenübergangs vom Kindergarten zur Schule als sehr hilfreich erwiesen.
5. Partizipation und Beschwerdemanagement
Partizipation und Beschwerdemanagement
Die Würde des Menschen und die Achtung seines individuellen Lebenslaufes stehen im Mittelpunkt unseres pädagogischen Bemühens. Unter Berücksichtigung der Altersgemäßheit werden im Kindergarten und in der Krippe vielerlei Möglichkeiten und Angebote zur Selbstbestimmung und Mitwirkung an Entscheidungsprozessen im Gruppengeschehen geschaffen. Die Kinder haben das Recht, Regeln des Zusammenlebens mitzugestalten oder auch zu verändern. Im Tageslauf schaffen wir Situationen, in denen sowohl die Kommunikation der Kinder untereinander angeregt und gefördert wird als auch die Wünsche, Ideen und Bedürfnisse der Kinder gehört werden.
Beschwerden der Kinder werden wahrgenommen, Konflikte werden mit allen Kindern angesprochen und gemeinsam Lösungsmöglichkeiten gesucht. Bei Streitigkeiten der Kinder untereinander wird jedes Kind mit seinen Sorgen und Nöten ernst genommen und im Gespräch geben wir den Kindern Hilfestellung für mögliche Lösungen.
Beschwerdemanagement zwischen Eltern und Kindergarten
Bei Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten zwischen Eltern und Erzieherinnen ist es erforderlich, dass gemeinsam im Gespräch nach Lösungen gesucht wird und zunächst unter den direkt betroffenen Personen versucht wird eine Klärung herbeizuführen. Ist dies nicht möglich werden Gruppenleitung, Kindergartenleitung, Geschäftsführung oder Vorstand als Schlichtungshelfer hinzugebeten. In einem erweiterten Kreis kann zusätzlich die Fachberatung der Region Hilfestellung leisten.
6. Erziehungspartnerschaft
Die Eltern bleiben die wichtigsten Bezugspersonen für ihr Kind, selbst wenn das Kind in Kindergarten oder Krippe eine nicht unerhebliche Zeit des Tages untergebracht ist. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern ist hier von großer Bedeutung. Gemeinsam mit den Eltern kann ein gesunder Lebensrhythmus für den Alltag des Kindes gefunden werden.
In regelmäßig stattfindenden Elternabenden werden die Grundlagen der Waldorfpädagogik erarbeitet und in Gesprächen zwischen Eltern und Erziehern findet ein Austausch über die gegenseitigen Erfahrungen die mit dem Kinde gemacht wurden statt. Solche Gespräche führen die Erzieher regelmäßig oder nach Bedarf, im Kindergarten oder im häuslichen Rahmen, um eine größtmögliche Transparenz zwischen Eltern und Pädagogen über die aktuelle Situation des Kindes herzustellen.
Elternzusammenarbeit
Durch gemeinsame Vorbereitung von Festen, Veranstaltungen oder Arbeiten rund um das Kindergartenhaus und durch die verantwortliche Mitarbeit von Eltern in den verschiedenen Gremien des Kindergartens ergeben sich weitere Möglichkeiten einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Viele Bereiche des Kindergartens bedürfen der Pflege und des Engagements. Da sind z.B. zu nennen der Gartenbereich des Kindergartengeländes, Instandhaltung der Spielgeräte, Pflege und Reinigung der Räumlichkeiten, Organisation von Veranstaltungen und Ausflügen etc.
Alle Eltern wählen bei Eintritt des Kindes in den Kindergarten eine Arbeitsgruppe, in der sie an den notwendigen Arbeiten für den Kindergarten teilnehmen. Die anfallenden Koordinierungsmaßnahmen werden von Eltern für die verschiedenen Arbeitsgruppen übernommen.
7. Rahmenbedingungen
Träger
Der „Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik Lüneburg e.V.“ wurde in Elterninitiative gegründet und ist der Träger des Waldorfkindergarten Lüneburg, der Rudolf Steiner Schule Lüneburg und der Heilpädagogischen Hofschule in Wendisch Evern. Der Zweck des Vereins ist die Förderung der Waldorfpädagogik und Ihrer Ausbildungsstätten sowie die Förderung des Betriebes von Waldorfschulen, Waldorfkindergärten und Krippen und heilpädagogische Einrichtungen. Mitglied kann jeder werden, der sich diesen Zielen verpflichten will.
Das Kindergartenkollegium entsendet ein Mitglied in den Vorstand des Vereins, der paritätisch besetzt ist und aus mindestens 10 Personen besteht.
Ort/Lage
Der Waldorfkindergarten liegt am östlichen Stadtrand von Lüneburg am Rande eines Wohngebietes und befindet sich mit der Rudolf Steiner Schule auf einem Gelände. Unser Kindergartenhaus und das Krippenhaus sind harmonisch eingebettet in das Schulgelände und sind umgeben von deren Gebäuden und Außenanlagen. Für die tägliche Arbeit stehen uns die Gruppenräume, ein Bewegungs-und Veranstaltungsraum, sowie mehrere Nebenräume mit Büro zur Verfügung. Bei der Einrichtung und Gestaltung der Häuser wurde im Besonderen auf die Verwendung von natürlichen Materialien und auf eine harmonische Farbgebung wertgelegt. Den Häusern angegliedert sind die Freispielflächen mit kleinem „Wäldchen“, Sandkästen, Schaukeln und Klettergerüst. In unmittelbarer Umgebung befindet sich ein kleiner Stadtwald, den wir für Ausflüge und kleine Wanderungen mit den Kindern nutzen.
Öffnungszeiten
Kindergarten und Krippe haben montags bis freitags von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr geöffnet. Geschlossen ist der Kindergarten in den Weihnachtsferien der Rudolf Steiner Schule, 3 Wochen in den Sommerferien und an Brückentagen. In den Schulferien wird Ferienbetreuung angeboten.
Gremien
Um den laufenden Betrieb des Kindergartenorganismus zu gewährleisten, ist die Mitarbeit und Zusammenarbeit verschiedenster Gremien hilfreich und notwendig.
Leitungskreis:
Der Leitungskreis führt im Auftrage des Kollegiums die im pädagogischen Alltag anfallenden Verwaltungsaufgaben aus.
Pädagogische Konferenz:
In dieser wöchentlich stattfindenden Zusammenkunft der Kolleginnen werden pädagogische sowie technisch-organisatorische Themen bearbeitet.
Kindergartenkreis:
Der Kindergartenkreis findet ca. 3x im Jahr statt und dient u.a. als Treffen der Arbeitsgruppenleiter und Elternvertreter, um die anfallenden Aufgaben zu koordinieren.
Gesamtkonferenz:
In der Gesamtkonferenz, die mindestens 1x jährlich stattfindet, treffen das Kollegium, Elternvertreter, Vorstand, bzw. Geschäftsführung zusammen. Hier wird ein Rückblick auf das vergangene Kindergartenjahr aus den verschiedenen Gremien gegeben und Anregungen für zukünftige Vorhaben eingebracht.
8. Schluss
„Nachahmung und wiederholentliches Tun bestimmen das Prinzip des Lernens in der frühen Kindheit und führen das Kind stufenweise zur Schulreife.“ (Vom Waldorfkindergarten, s.u.)
Die Verantwortung, die wir mit dieser Aufgabe übernehmen, erwächst uns aus der Beschäftigung mit der Menschenkunde Rudolf Steiners, aus der alltäglichen Zusammenarbeit mit Eltern und Kolleginnen und aus unserem Verantwortungsgefühl, dem kleinen Kinde die Brücke zu bereiten, auf der es vertrauensvoll seiner Lebensaufgabe entgegengehen kann.
„Wer mit der Empfindung an das Kind
herantritt: Es ist aus der geistigen Welt
zu Dir dieses Kind heruntergestiegen,
du sollst sein Rätsel lösen von Tag zu
Tag, von Stunde zu Stunde – der hat
in seinem Gemüte diejenige liebevolle
Hingabe an die Entwicklung des Kindes,
die notwendig ist, um dieses Kind durch
alle möglichen Imponderabilien auf den
Lebensweg zu geleiten.“
Rudolf Steiner
Den Haag, 4.11.1922
Literaturhinweise
Leitlinien der Waldorfpädagogik für die Kindheit von 3 bis 9 Jahren
Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen e.V. Teil1/ Teil 2
Leitlinien der Waldorfpädagogik für die Kindheit bis zum dritten Lebensjahr
Vom Waldorfkindergarten
Vereinigung der Waldorfkindergärten
Kindersprechstunde
Ein medizinischer Ratgeber, Wolfgang Goebel/ Michaela Glöckler
Vorsicht Bildschirm! Der Einfluss von Bildschirm-Medien auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
DVD Manfred Spitzer, Hirnforscher
GESUND AUFWACHSEN in der digitalen Medienwelt, eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder und Jugendliche begleiten
Diagnose:media, Stuttgart 2018
Sprachförderkonzept des Waldorfkindergarten Lüneburg
Grundvoraussetzung für eine gesunde Sprachentwicklung
Der Spracherwerb ist ein wesentliches Element der gesunden Entwicklung des Kindes .Er kann sich nur vollziehen, wenn das Kind gesunde leibliche Voraussetzungen hat (Sprachwerkzeuge, Hörvermögen, motorische Fähigkeiten), aber eine genauso wichtige Voraussetzung ist das soziale Umfeld, in dem das Kind sich seelisch gesund entwickeln kann (Beziehung und Bindung, allgemeines Wohlbefinden) sowie das in seiner Persönlichkeit verankerte Interesse, sich der Welt zuzuwenden und sich lernend mit ihr auseinanderzusetzen (intrinsische Motivation).
Der Spracherwerb beginnt lange vor dem eigentlichen Sprechen des Kindes. Es beginnt mit der ersten Kommunikation zwischen dem Neugeborenen, seinen Eltern und Bezugspersonen. Er geschieht durch die Aufmerksamkeit, die seinen lautlichen und körpersprachlichen Äußerungen entgegengebracht wird und der Hinwendung durch vertraute, sprechende Menschen, von denen das Kind Sprachklang und Wortmelodie aufnimmt, lange bevor der Sinn der Worte erfasst wird. Sprechen und Verstehen ist im Ursprung viel mehr Ausdruck der ganzen Persönlichkeit, ähnlich dem, wie man vielleicht jemanden verstehen kann, dessen Sprache man gar nicht kennt. Spracherwerb findet im ganzen Lebenslauf wesentlich auch unabhängig von informeller Sprache statt und Sprachfähigkeit kann sich ohne dieses nicht entwickeln.
Erst ab dem zweiten Lebensjahr entwickelt sich das Sprechen im eigentlichen Sinne. Während der Phase des Sprechen- und Verstehen-lernens, der mit der Begriffsbildung zu tun hat, sind alle Sinne des Kindes beteiligt. Es fühlt, riecht, hört, sieht und bewegt die Dinge, erfährt ihren Sinnzusammenhang und sogar, ob die Menschen in seiner Umgebung sie mögen oder nicht. Alle diese Erfahrungen sind lebenslänglich mit den Begriffen verknüpft. Der deutsche Name Begriff drückt schon aus, dass es um viel mehr, als nur Denken und Reden geht.
Gesundheit, Wohlbefinden, Reichtum an sinnlicher Erfahrung und, ganz wesentlich, verlässliche Beziehung, ist Sprachförderung. Diese Aspekte zu berücksichtigen ist schon immer ein wesentlicher Gesichtspunkt der Waldorfpädagogik.
In der richtigen Umgebung wird jedes gesunde Kind durch Nachahmung sprechen lernen.
Dieses Konzept befasst sich nun im Genaueren damit, wie der Alltag im Waldorfkindergarten diesen Lernprozess unterstützt.
Die Elemente die hier zur Sprachförderung angegeben werden, waren schon immer Teil der Waldorfpädagogik, die sich darum bemüht, das Kind in seiner Entwicklung ganzheitlich zu sehen und zu begleiten.
Sprachfördernde Umgebung:
Der sprechende Erwachsene als Vorbild, die alltägliche Sprache
Die Waldorfpädagogik der ersten sieben Jahren baut in allen Elementen darauf auf, dass das Kind als nachahmendes Wesen an dem Vorbild seiner Umgebung lernt.
Das bedeutet in Bezug auf die Sprachentwicklung natürlich in erster Linie, dass der Erwachsene sich selbst zu einem gut sprechenden Menschen erzieht. Damit sind viele Ebenen angesprochen: Die klare Aussprache, die korrekte Grammatik, das Sprechen in ganzen Sätzen, die Verwendung von vielfältigem, ausdrucksreichem Vokabular, ohne aber die Sprache gekünstelt werden zu lassen. Selbstverständlich gehört zu diesem Thema aber auch die Sinnhaftigkeit und Wahrhaftigkeit des Gesprochenen, die Ausdruck findet in der Übereinstimmung des Gesagten mit der nonverbalen Körpersprache, dem Klang der Stimme und der emotionalen Wärme.
Das gilt für alles was in Gegenwart der Kinder gesprochen wird und auch zu anderen Erwachsenen.
Vor allem in den Gruppen der unter Dreijährigen ist es besonders wichtig, dass das was gesagt und getan wird, immer zusammenstimmt, da sich nur so die richtigen Begriffe im Kinde bilden.
Dass Spracherwerb unmittelbar auf Beziehung angewiesen ist, wurde bereits eingangs erwähnt. Nur von sprechenden und zuhörenden Menschen kann ein Kind selber sprechen lernen.
Im Alltag des Waldorfkindergartens gibt es unzählige Gelegenheiten, dass Kinder und Erzieher/Erzieherinnen ins Gespräch kommen. Die Kinder kommen mit einem Anliegen zum Erwachsenen, brauchen Hilfe oder haben etwas auf dem Herzen. Zuhören, Raum und Zeit geben, dass das Kind seine Bedürfnisse sprechend ausdrücken kann, ist ein wesentliches Element das den Kindern dazu verhilft, sich artikulieren zu lernen. Bei den vielen kleinen Wortwechseln, zu denen der Alltag Gelegenheit gibt, kann der Erzieher/Erzieherin vorbildhaft seine eigene Sprache einsetzen. Im Wechsel von Sprechen und Hören, geben und nehmen, entsteht das freie Gespräch beim An-und Ausziehen, beim Spaziergang, beim Vorbereiten des Frühstücks, beim Einnehmen dessen, beim Abwasch etc. und schafft Beziehung zwischen dem Erzieher und dem Kind.
Aus dem Alltag herausgehobene Sprache, künstlerische Form
Im Waldorfkindergarten gibt es im immer wiederkehrenden Tagesablauf viele Gelegenheiten, die Sprache in besonders kultivierter Form erklingen zu lassen. Rhythmisch-musikalisch wird hier das Wort zur Kunstform, in Sprüchen, Versen, Reimen und begleitet die Kinder wiederkehrend durch jeden Tag, in einem sich wiederholenden begrenzten Zeitabschnitt von drei- vier Wochen oder im jährlich wiederkehrenden Rhythmus.
Finger- und Handgestenspiele, die Bewegung und Sprache im feinmotorischen Bereich mit einander verbinden, werden gerne in den Übergängen, im Morgenkreis und im Reigen eingesetzt Die Verbindung von Bewegung und Sprache ist besonders förderlich für die Sprachentwicklung, da das Bewegungs- und Sprachzentrum im Gehirn gleichzeitig stimuliert wird. Je nach Temperament sprechen die Kinder die Verse bald mit oder eben auch lange Zeit gar nicht. Gerade Kinder, die eher wenig sprechen oder auch bestimmte Laute oder Lautkombinationen noch nicht sprechen können, nehmen hier wohlgeformte Klangfolgen unbewusst tief in sich auf. Es wird dabei nicht korrigiert oder eingegriffen, denn es hat sich gezeigt, dass Kinder, die im Kindergarten nicht mitsprechen oder auch nur anfänglich zarte Bewegungen mitmachen, den Ablauf sehr wohl innerlich aktiv aufnehmen. Die Eltern erzählen von ihren Kindern, dass Teile oder sogar das ganze Finger- oder Handgestenspiel zuhause oder an anderer Stelle viel später plötzlich zum Vorschein kommen. Durch das über Wochen tägliche Wahrnehmen derselben Worte und Bewegungen in wiederholender Weise, kann das Kind den Ablauf aufnehmen, verinnerlichen und zu eigenen Fähigkeiten umwandeln. Durch die freilassende Haltung des Erziehers/der Erzieherin, mischen sich keine störenden Emotionen in das Geschehen und positiv gestimmt, nimmt das Kind das auf, was ihm vielleicht schwerfallen würde.
Lieder, die zur Jahreszeit passend während des Vormittags, oder bei Tätigkeiten des Erwachsenen während des Freispiels oder im Kreis sitzend, gesungen werden, sind ein weiteres Angebot an künstlerischer Sprache. Manche Kinder singen die Melodien den ganzen Tag vor sich hin, andere singen vielleicht nie mit, aber freuen sich, wenn sie das Vertraute wieder hören, da sie es innerlich schon aufgenommen haben, anderen Kindern fällt das Lied plötzlich wieder ein, wenn sie irgendwo still für sich sind. Einerseits verankert das Lied Sprache noch in ganz anderen Bereichen des Gehirns, da die Melodie andere Areale aktiviert (entsprechend der Kombination von Sprache und Bewegung) und zum anderen ist die Sprache beim Singen an den Rhythmus der Melodie gebunden, damit wird der Atemrhythmus ausgeglichener. Kinder, die eine Tendenz haben, sich im Satz zu verhaspeln, zu stocken, über Worte hinwegzufliegen oder nuscheln, bekommen hier unbewusst eine Hilfe, den Satzbogen über einen guten Atemstrom zu spannen.
Beim täglichen Reigen, eine Folge von künstlerisch abgestimmten Sprüchen und Liedern dem Jahreslauf entsprechend, die in Bewegung frei im Raum umgesetzt werden, findet ein ähnlicher Prozess statt. Hier ist die Bewegung allerdings grobmotorischer und weniger konzentriert. Manchen Kindern liegt es mehr sich hier dem Sprachfluss anzuvertrauen, zumal auch gesungene Lieder dazu kommen. Außerdem wird in den Reigen das rhythmische Element der Verse stärker herausgehoben und mit Gebärden unterstrichen. Das wirkt auf die Kinder als starker Impuls, der sie direkter anspricht. Sprache und Bewegung bilden auch hier eine Einheit und unterstützen sich in der Entwicklung gegenseitig.
Als besonderes Ereignis kann man für den Waldorfkindergarten die wöchentlich stattfindende Eurythmie nennen. Eine Bewegungskunst, die Sprache in der Geste sichtbar macht, die innere Gestalt der Sprache, nicht die äußere Bedeutung, in Bewegung umsetzt. Eurythmie wirkt in der Kindergartengruppe ganzheitlich auf jedes Kind. Hier findet Verstehen und Erleben noch einmal genauso intuitiv statt, wie in der ersten Phase des Sprechenlernens. Die Eurythmie wird durch ausgebildete Eurythmisten ausgeführt und ersetzt im Gruppenalltag einmal wöchentlich den Reigen.
Bestimmte wiederkehrende Lieder und Sprüche gliedern den Tagesablauf, z.B. der Spruch vor und nach den Mahlzeiten, das Aufräumlied, das Geburtstagslied, die wiederkehrenden Jahreszeitenlieder u.a. Die Kinder nehmen diese durch die immer wiederkehrende Wiederholung tief in sich auf und neben der Tatsache, dass diese Rituale eine hilfreiche Orientierung im Tageslauf sind, werden sie zum sicheren eigenen Repertoire, das das ganze Leben erhalten bleibt. Ein weiterer Baustein sind kleine Sprüche und verschiedene Lieder, die spontan im Alltag anhand bestimmter Situationen auftauchen, z.B. zum Trösten des Kindes nach einem kleinen Unfall, oder zum Streit schlichten, zum Apfelschälen oder Teigkneten. Die Kinder lieben diese kleinen Verse, sie sind ein unbezahlbarer Schatz, der in vergangenen Generationen noch viel alltäglicher gepflegt wurde. Dazu gehören auch spontan gereimte Verse, die mit Humor genommen, oftmals die Schwere aus einer Situation nehmen. Sie ermöglichen den Kindern, an einem Geschehen emotionaler teilzunehmen. Und immer, wenn das Kind positive Gefühle mit dem gesprochenen Wort verbindet, werden diese tiefer aufgenommen, verarbeitet und behalten und stehen so eines Tages als eigene Sprachfähigkeit zur Verfügung.
Ein großer Bereich geformter Sprache wird den Kindern im Waldorfkindergarten durch das Erzählen von Geschichten und kleinen Tischpuppenspielen angeboten.
Hier sind die Kinder äußerlich passiv und hören zu. Diese Geschichten oder Puppenspiele wiederholen sich durch mehrere Wochen täglich und den Kindern kann man anmerken, wie sie zunächst, so lange die Geschichte neu ist, den Inhalt wach verstehend aufnehmen. Nach ein paar Tagen stellt sich dann ein, dass sie in den Wohlklang der Worte einer schönen Erzählsprache von Märchen und Geschichten hineinträumen. Von Zeit zu Zeit steigen dann daraus einzelne Redewendungen spontan und unerwartet bei den Kindern im Alltag herauf, manchmal bei von ihnen aufgebauten Puppenspielen und das zunächst scheinbar passiv Aufgenommene kommt aktiv zum Vorschein. Durch das Wiederholen der wörtlich auswendig erlernten, frei erzählten Geschichten, bildet sich beim Kind neben den Vorstellungsbildern, die die Geschichten enthalten, auch ein Sinn für schöne Sprache und eine Erweiterung des Wortschatzes.
Das frei im sozialen Umkreis sich betätigende Kind
Neben dem, was der Erzieher/ die Erzieherin mit den Kindern spricht, haben die Kinder auch einen sozialen Begegnungsraum untereinander, in dem sie sich frei bewegen.
Dieser ist durch das waldorfpädagogische Konzept so gestaltet, dass reichhaltige Gelegenheit für Begegnung, Beziehung und damit auch für Sprache vorhanden ist.
Der wichtigste Punkt an dieser Stelle ist das freie Spiel, dem der Waldorfkindergarten viel Aufmerksamkeit, Zeit und Raum gibt. Das Spielmaterial ist freilassend und anregend zum Bauen, Gestalten, für Rollenspiele, Puppenspiele und Sinnes- sowie Bewegungserfahrung. Bei diesem Spiel ist das Kind fortwährend in Beziehung zu sich und den anderen Kindern, kein Medium (wie z.B. Bilderbücher, Musik, CD o.ä.) schirmt es von der Gruppe ab. Selbst, wenn es sich zurückziehen möchte, und eine „Höhle“ oder ein „Haus“ baut, kann es jederzeit aus eigenem Impuls wieder Kontakt zu den "Nachbarn" aufnehmen. Im freien Spiel kommunizieren die Spielpartner ständig über den Verlauf des Spiels miteinander, was soll angebaut werden, was geschieht als nächstes, welches Material wird benötigt.
Da Sprache und Bewegung in engem Zusammenhang stehen, ist auch hier von Bedeutung, dass das Spiel drinnen, aber vor allem auch bei jedem Wetter draußen, reichlich Anlass für vielfältige Bewegung bietet.
Wind und Wetter, bieten dem Kind Begegnung mit der Welt, daran erfährt es sich selber und tauscht das wiederum in Kommunikation mit den anderen aus. Das zweite Freispiel findet tatsächlich bei jeder Wetterlage im Garten statt und zwischen Ostern und Herbstferien gehen wir, im Waldorfkindergarten Lüneburg, einmal wöchentlich mit den Rucksäcken in den nahegelegenen Wald.
Wie schon erwähnt, werden im Spiel auch die aufgenommenen und verarbeiteten Lieder und Geschichten, die Sprüche und Verse wieder aufgegriffen. Eltern erzählen oft von dem Spiel zuhause, wo das ganze Kindergartenrepertoire an Sprüchen und Liedern, an die Puppen und Kuscheltiere „herangetragen“ wird. Im Kindergarten wird es bei nachgespielten oder aus der Anregung frei erfundenen Puppentheatern erlebbar, aber auch im Rollenspiel, wo dann z.B. in der Puppenwohnung plötzlich der Tischspruch erklingt: „Erde die uns dies gebracht, Sonne die es reif gemacht, liebe Sonne, liebe Erde, euer nie vergessen werde“.
Besondere Sprachförderung
Für ein gesundes Kind und eine normale Entwicklung reicht in der Regel das anregende Umfeld des Waldorfkindergartens aus, um zu einer differenzierten, frei verfügbaren und reichhaltigen Sprache zu gelangen.
Es gibt aber immer wieder Kinder, die eine besondere Unterstützung brauchen.
Dafür gibt es keine allgemeinen Standartmaßnahmen, je nach Kind und Situation wird nach passenden Lösungen gesucht, aber immer, ohne das Kind auf seinen "Förderbedarf" aufmerksam werden zu lassen oder in irgendeiner Hinsicht zu isolieren oder zu stigmatisieren.
Wenn ein Kind beim Sprechen immer wieder ins Stocken gerät, den Satz nicht zu Ende sprechen kann, sich beim Sprechen irgendwo "aufhängt", ist das ein Anlass, den Zuhörraum besonders zu schützen und mit ungeteilter Aufmerksamkeit immer wieder hinzuhören. Die von den Erziehern und Erzieherinnen geschenkte Konzentration hilft dem Kind, sich ebenfalls zu konzentrieren und bei seinem Gedankenfaden bis am Ende dran zu bleiben. Es ist hilfreich mit diesen Kindern in der Gruppe besonders viel zu singen, um den Atemstrom zu üben.
Bei Kindern, die einzelne Laute oder Lautkombinationen nicht aussprechen, wird nach Sprüchen, Liedern, Reimen gesucht, die diese Kombinationen oder Laute besonders häufig beinhalten. Diese werden dann im Reigen eingebaut oder zu Fingerspielen verwandelt und mit der ganzen Gruppe durchgeführt, auch wenn sie nur für ein bestimmtes Kind oder eine Zielgruppe ausgesucht wurden. Für diese Kinder sind oft auch Nonsens-Verse hilfreich, die lustig klingen aber keinen Inhalt haben, da sie die Freude an den Lauten wecken, aber die feste Vorstellung, man könne ein bestimmtes Wort nicht sagen, vermeiden.
Ähnliche Überlegungen lassen sich zu anderen auftretenden Widerständen machen, z.B .mit unterschiedlicher Lautstärke, sehr lauter oder sehr leiser Stimme reagieren etc.
Kinder mit Deutsch als Zweitsprache
Für Kinder, die zuhause mit einer anderen Muttersprache heranwachsen gilt im Grunde alles oben Gesagte in gesteigerter Form. Eine Sprachfähigkeit ist bei ihnen im gleichen Maß vorhanden, wie bei Kindern deren Muttersprache die deutsche ist. Nun gilt es, ihnen die Begriffe, verbunden mit dem Klang der Worte, mit allen Sinnen erlebbar zu machen. Die Erzieher und Erzieherinnen werden bei einem solchen Kind noch bewusster auf ihre eigene Sprache achten, auf die Richtigkeit der Sinnzusammenhänge und die Übereinstimmung mit der Körpersprache. Ähnlich, wie bei zweisprachig heranwachsenden Kindern, wird es etwas länger dauern, bis die Kinder beginnen, aktiv zu sprechen. Wenn sie in ihrer Muttersprache fließend sprechen können und der Erzieher/ die Erzieherin eine gute Beziehung zu dem Kind lebt, wird das Kind aber in angemessener Zeit die deutsche Sprache erlernen.
Einbeziehung der Eltern
Es gehört zu den Aufgaben jedes Erziehers/ jeder Erzieherin mit den Eltern regelmäßig Entwicklungsgespräche zu führen. Der Stand des Spracherwerbs und Besonderheiten, die bei dem Kinde dazu auffallen, sind Teil dieses Gesprächs.
Falls es sinnvoll erscheint, sollte eine Empfehlung ausgesprochen werden, das Kind beim Kinderarzt vorzustellen und ggf. besondere Förderung durch Fachkräfte anzuregen.
Kriterien hierfür sind z.B.:
- die Entwicklung stagniert;
- das Kind hat Leidensdruck;
- das Kind kann im letzten Jahr vor der Schule noch immer manche Laute nicht sprechen; es macht im letzten Jahr vor der Schule noch immer deutlich grammatikalische Fehler;
- bei Unsicherheit, ob die Entwicklung noch gesund, „normal“ verläuft.
Abschluss
Wir leben in einer Zeit, wo die Kommunikation zwischen den Menschen immer mehr über elektronische Medien, also nicht unmittelbar durch das gesprochene Wort getätigt wird. Die Kinder erleben diese „neuen“ Vorbilder in ihrem unmittelbaren Umfeld. Die Zeit, in der Eltern mit ihren Kindern in wirklicher Begegnung und sprachlicher Kommunikation sind, hat in den vergangenen Jahren messbar abgenommen.
Mit dieser Tatsache geht ein allgemeiner Sprachverlust einher. Auch das „gesungene“ Wort geht immer mehr verloren, da die Lieder heute zunehmend über CD und Radio konsumiert werden.
Aus diesen angeführten Gründen ist ein besonderes Augenmerk und eine besondere Unterstützung auf die Sprachentwicklung des kleinen Kindes vonnöten.
Sprachförderung ist konzeptionell in die Waldorfpädagogik integriert. Es ist das Anliegen und die Aufgabe der Erzieher und Erzieherinnen, den Kindergartenalltag so zu gestalten, dass das Beschriebene beherzt Anwendung findet und im pädagogischen Alltag die Grundlage für eine gesunde Entwicklung des Spracherwerbs bildet.